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Verantwortung
Kants Kategorischer Imperativ
Friedrich Pieper, 21. November 2011
Seiner "Kritik der reinen Vernunft" (1781, in der 2. Auflage 1787), stellt
Kant mit Bedacht und Ironie folgenden Satz voran:
„Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung
ihrer Erkenntnisse: dass sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht
abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst
aufgegeben, die sie aber nicht beantworten kann; denn sie übersteigen
alles Vermögen der menschlichen Vernunft.“
... und schon gibt's kein Ausweichen mehr. Die Vernunft zieht
alles auf den Prüfstand (= "Kritik") - jede Erkenntnis
(ob a priori oder nicht), unsere Erkenntnisfähigkeit, jede Einsicht,
jedes Vorhaben, damit auch jede Handlung und die Verantwortung dafür,
und vor allem sich selbst. Ebenfalls schon in der Vorrede schreibt Kant:
Vor dem „Gerichtshof der Vernunft“ ist die Vernunft Kläger,
Angeklagter und Richter zugleich.
So bleibt kein Raum für Dogmen, aber auch keiner für "arrogante
Ansprüche" jeder noch so modernen Philosophie oder Metaphysik,
kein Raum für „Philodoxie“, jener "Liebe zum bloßen Meinen",
damit aber Raum zum Glauben, und so kommt Kant am Ende der
Vorrede zu seinem Hauptwerk zu folgenden Aussagen:
„Ich musste also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu
bekommen"
„So aber, da ich zur Moral nichts weiter brauche, als dass Freiheit
sich nur nicht selbst widerspreche, und sich also doch wenigstens denken
lasse, ohne nötig zu haben, sie weiter einzusehen, dass sie also dem
Naturmechanism eben derselben Handlung (in anderer Beziehung genommen)
gar kein Hindernis in den Weg lege: so behauptet die Lehre der Sittlichkeit
ihren Platz..."
Und da Kant selbst diese Zusammenfassung seiner "Kritik der reinen Vernunft"
in der Vorrede zur 2. Auflage so veröffentlichte, sehe ich mich ein wenig
autorisiert, seine Philosophie hier derart verkürzt wiederzugeben.
Man kann also Kants "Kritik der reinen Vernunft" als Fundament einer
"vernünftigen Lehre der Sittlichkeit" verstehen, ein Fundament,
das ohne religiöse Begründung auskommt, diese aber ausdrücklich zu-
bzw. offen lässt. Genau auf diesem areligiösen
Fundament entwickelt Kant seine "Kritik der praktischen Vernunft" (1788)
und stellt alles praktische Handeln, alle Konsequenzen
daraus, die Verantwortung des Menschen für sein Handeln auf den Prüfstand.
Der Kernsatz seines 2. Hauptwerks, der Kategorische Imperativ,
lautet (in einer der vielen Formulierungen, die Kant benutzte):
"Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich
als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne".
Kants Kategorischer Imperativ (KI) liefert die Legitimation für
Gesetzgebung und Rechtsprechung. Es ist legitim, Menschen zur
Verantwortung zu ziehen. Doch in welchem Rahmen kann, darf, soll,
muss das gelten?
Dass jeder Mensch für sein Handeln vor sich selbst oder vor einer
von ihm anerkannten Instanz verantwortlich ist, folgt aus dem KI,
und dass er diese Verantwortung insbesondere in bezug auf die ihm
nahe stehenden Menschen aus Empathie zu übernehmen, bereit ist, aus seiner Natur.
Doch wie verhielte es sich mit einem Gesetzespaket, dessen
Legitimation anzuerkennen, er nicht bereit ist?
Dies ist eine essentiell politische Frage.
Kant hat den KI - vor über 200 Jahren, während der französischen
Revolution - nicht schon selbst in einen gesellschaftlichen
oder politischen Kontext gestellt, obwohl der KI essentiell politisch
ist. Die Geschichte lehrt uns, dass der KI den politischen
Kontext notwendig braucht.
Die Maximen des Handelns müssen im Konsens
einer demokratischen Gesellschaft gefunden werden und zu einer Gesetzgebung
führen, die in der Gesellschaft auch durchgesetzt wird: es sind die
gültigen ethischen Kategorien der Gesellschaft.
In diesem Sinne muss Demokratie kategorisch sein.
Und Demokratie ist die einzige politische Verfassung, die der Kritik
der praktischen Vernunft standzuhalten vermag.
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