Konzept für ein Paten-Netzwerk
Nachhaltige Unterstützung
der Ulmer Bildungsoffensive
herausgegeben vom AK "Bildung" der Lokalen Agenda 21 der Stadt Ulm
Ulm, 21. Januar 2008
Autoren: Veronika Adam, Winfried Bauer, Gottfried Baumann,
Gisela v. Canal, Gisela Glück-Gross, Hatice Güler-Meisel,
Walter Leibersberger, Barbara Münch, Friedrich Pieper,
Petra Schmitz.
Redaktion: Friedrich Pieper.
Kopieren mit Quellenangabe gestattet.
Inhalt
Präambel
1 Bestandsaufnahme
1.1 Anstöße -
1.2 ein Anstoß: zu wenige Migranten zum Abitur -
1.3 Bildung mit Barrieren -
1.4 Barriereopfer ohne Bildungskarriere -
1.5 Informations- und Beratungsbedarf -
1.6 Rückhalt im Sozialraum -
1.7 optimaler Bildungsabschluss -
1.8 das Ziel: Berufsfähigkeit
2 Beratungskonzept
2.1 Erziehungspartnerschaft -
2.2 Begleitung der Bildungsbiografie jedes Kindes -
2.3 bedarfsgerechte, nachhaltige und verlässliche Hilfe -
2.4 institutionelle Verankerung
3 Umsetzung
3.1 biografische Mappe -
3.2 tragende Rolle der Klassenlehrer -
3.3 Berater als Paten-Netzwerk -
3.4 Verankerung im Sozialraum -
3.5 muttersprachliche Beratung der Eltern -
3.6 Datenschutz -
3.7 Schulung -
3.8 städtische Koordinierungsstelle -
3.9 Startphase
4 politische Rahmenbedingungen
4.1 Bildungsberatung als kommunale Kernaufgabe -
4.2 Ulmer Bildungsoffensive -
4.3 Sparen für Bildung
5 Quellen
Die Bildungsbiografie jedes Kindes - von der Kita bis zum Schulabschluss -
wird nachhaltig begleitet. Alle beteiligten Institutionen und Personen
arbeiten Hand in Hand, sorgen für
- ein intaktes Umfeld,
- Integration im Sozialraum,
- gegenseitigen respektvollen Umgang
und sehen sich in der gemeinsamen Verpflichtung, das Kind zu seinem
optimalen Bildungsabschluss zu führen, damit es seinen Platz in der
Gesellschaft finden und selbst wieder die empfangene Zuwendung der
nächsten Generation zurückgeben kann.
1.1 Anstöße
Nicht erst seit PISA, sondern seit Jahren, seit Jahrzehnten
(s. Georg Picht: "Die deutsche Bildungskatastrophe", 1964)
nehmen Menschen,
die sich um die Bildung in Deutschland sorgen, Anstoß an zahlreichen Defiziten
des deutschen Bildungssystems:
- erkannte Defizite in Bildungsbiografien werden nicht nachhaltig behoben;
hier sind insbesondere sprachliche und Defizite in der Sozialisation zu nennen -
seit langem bekannt, jedoch nicht einmal halbherzig angegangen.
- zahlreiche Bildungsbiografien scheitern; abgebrochene Bildungskarrieren
sind trauriger Alltag.
- eine Hauptursache abgebrochener Bildungskarrieren - die Selektion im
dreigliedrigen Schulsystem - ist seit Jahrzehnten politisch tabu.
- der Übergang Schule - Berufsausbildung ist in vielen Bildungsbiografien
ein nachhaltiger, Existenz bedrohender Bruch. Dass viele Hauptschüler keinen
Ausbildungsplatz finden, ist seit Jahren skandalöse Normalität.
1.2 ein Anstoß: zu wenige Migranten zum Abitur
Im Sommer 2006 setzte der Arbeitskreis "Bildung" der Lokalen Agenda 21
in Ulm auf Anregung von Rolf Gütlein (Kepler-Gymnasium, Abendgymnasium)
dieses Thema auf seine Tagesordnung und lud dazu u.a. Vertreter der
Deutsch-Türkischen Gesellschaft Ulm ein. Rolf Gütlein wollte den
Ursachen für die eklatante Unterrepräsentierung von Abiturienten
mit Migrationshintergrund in Ulm auf die Spur kommen.
Gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil und verglichen mit der Anzahl
deutschstämmiger Schüler macht fast überall in Deutschland nur ein Bruchteil
der Migrantenkinder das Abitur.
Wenn man - selbstverständlich - davon ausgeht, dass im Durchschnitt
einer Altersgruppe das Begabungsprofil nahezu unabhängig ist von der
ethnischen Herkunft, dann wird man kulturelle Gründe, sprachliche
Defizite und mangelnde Integration als Hauptursachen vermuten.
Die Ergebnisse der PISA-Studien zeigten aber, dass auch bei den
deutsch-stämmigen Schülern die Abiturquote deutlich geringer ist
als im europäischen Vergleich - und wiederum darf man wohl davon ausgehen,
dass deutsche Schüler im Durchschnitt nicht dümmer sind als andere in Europa.
Anstoß zu nehmen an Integrationsdefiziten greift also zu kurz;
die Ursachen liegen viel tiefer.
1.3 Bildung mit Barrieren
Wer einmal ernsthaft versucht, sich z.B. im
deutschen Bildungsserver
(s.a. Quellen) umfassend über ein bestimmtes Bildungsthema zu informieren,
wird an der Informationsfülle schier verzweifeln. Was haben wir doch für ein
überwältigend buntes, vielfältiges Bildungssystem - einzigartig auf der Welt.
Man versteht im Nachhinein, wie gütig sich doch das Schicksal einst mit der
eigenen Bildungskarriere zeigte.
Die Barrieren erfährt erst, wer über sie stolpert; sie hier zu analysieren,
erforderte eine eigene Denkschrift; einige seien doch erwähnt:
- fehlende Sprachförderung
- fehlende individuelle Beratung
- fehlende individuelle Förderung
- Selektion in Schultypen
- fehlendes Auffangnetz für gescheiterte Selektion
- Bürokratie
S. dazu z.B. die pointierten Kommentare von Antje Berg in der SWP:
"der Auslese-Terror" (22.6.2007)
oder "kümmerliches Stückwerk" (27.6.2007)
oder das Interview mit Prof. Tillmann
"Spitze im Scheitern" (1.8.2006)
(s.a. Quellen: DTG).
Das politische Forum am 29. Nov. 2006 in der vh ulm
"Bildung ohne Barrieren?
- wie Migranten in Ulm ihren Weg machen - Biografien"
setzte sich mit diesem Thema auf Anregung des AK Bildung auseinander
(mit Brigitte Röder - Schulleiterin Kepler-Gymnasium, Rolf Gütlein,
Kepler-Gymnasium, und Hatice Güler-Meisel - Kontaktstelle der Stadt
Ulm für Migranten - s.a. Quellen: DTG).
1.4 Barriereopfer ohne Bildungskarriere
Die Bildungsbiografien von Barriereopfern zeigen erschreckend deutlich
immer wieder den plötzlichen Abbruch der Bildungskarriere.
Unter "Bildungskarriere" verstehen wir den geradlinigen Weg eines jeden
Menschen zu dem für ihn optimalen Bildungsabschluss.
Ziel der Bildungspolitik ist zweifellos, jede Bildungskarriere zum
erfolgreichen Abschluss zu bringen.
Der Abbruch der Bildungskarriere ist für das Opfer eine persönliche
Katastrophe und für die Bildungspolitik ein Scheitern.
Wir beschreiben das hier bewusst mit sehr dürren Worten, weil wir jede
weitergehende Bewertung vermeiden wollen. Zu lange schon wird die
Bildungsdebatte um Prinzipien geführt. Auch wenn man sich noch so sehr
eine Strukturreform des deutschen Bildungssystems wünschen mag - zu allererst
geht es doch darum, jetzt begonnene Bildungskarrieren erfolgreich zum Abschluss
zu führen.
Jede weitere abgebrochene Bildungskarriere ist eine zu viel.
1.5 Informations- und Beratungsbedarf
Am Beispiel fast jeder abgebrochenen Bildungskarriere kann man
nachweisen, was im konkreten Einzelfall hätte getan werden können bzw.
müssen, um das Scheitern zu vermeiden, und in fast jedem Einzelfall zeigt
sich, dass den Betroffenen diese konkreten Möglichkeiten, das Scheitern zu
vermeiden, nicht oder nicht rechtzeitig bekannt waren.
Es ist offensichtlich, dass den Betroffenen die nötigen Informationen
zur Planung und Bewältigung ihrer Bildungskarriere vermittelt werden müssen,
und dass dies nur in persönlichen Beratungsgesprächen möglich ist.
Angesichts der komplexen Strukturen unseres Bildungssystems wird ein
solches Beratungsangebot umso dringlicher.
Die Bildungspolitik ist sogar in der Pflicht, dieses Beratungsangebot zur
Verfügung zu stellen - hat sie doch selbst die komplexen Strukturen geschaffen
und muss sie doch ihr oberstes Ziel, den erfolgreichen Abschluss aller
Bildungskarrieren, unbedingt erreichen wollen.
Zu den "gefährdeten" Bildungskarrieren zählen wir auch diejenigen, die ein
unklares Ziel haben. Wer beispielsweise nicht gefordert wird, dem
(bzw. dessen Eltern) kann ein anspruchsvolleres Ziel empfohlen werden.
Wir wollen aber auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, indem wir
"flächendeckende Beratung" einführen. Eltern und Kindern, die mit ihren
Bildungskarrieren im Reinen sind, soll keineswegs Beratung aufgenötigt werden.
1.6 Rückhalt im Sozialraum
Als "Sozialraum" bezeichnet man ein überschaubares soziales Umfeld
in einem Stadtteil einer Großstadt, gewissermaßen das "Dorf in der Stadt"
(s. Quellen: "Jugendhilfe": Fachtag vom 10.02.2004 in Ulm).
Ein Sozialraum erfüllt gestaltende und schützende Funktionen für elementare
soziale Beziehungen. Die Kommunalpolitik hat daher die nachhaltige Unterstützung
dieser Funktionen als wichtiges Ziel erkannt. Es ist offensichtlich so, dass
- Bildung Rückhalt im Sozialraum haben muss; dies gilt insbesondere für
Kindertagesstätten, Grund- und Hauptschulen - sie können ohne Anker im Sozialraum
nicht funktionieren;
- diese Bildungsstätten eine Grundlage des Sozialraums überhaupt sind;
- Sozialraum-Gestaltung daher ein Bildungsziel an sich ist;
- soziale Verantwortung und Gestaltungswille primär hier zu vermitteln sind.
Für die Sozialisation von Kindern (wie auch von Erwachsenen) ist der
Sozialraum eine Umgebung, wie sie konkreter kaum sein kann.
Schulfeste, Stadtteilfeste, Sportwettkämpfe mit anderen Sozialräumen,
Nachbarschaftskontakte u.v.m. sind die Grundlage für ein "wir"-Gefühl,
das sich nirgendwo sonst so etablieren kann.
1.7 optimaler Bildungsabschluss
Kinder werden über mindestens 10 Jahre - den wichtigsten Jahren
ihres Lebens - von der Gesellschaft in die Schulpflicht genommen.
Als Gegenleistung hat die Gesellschaft die Pflicht, die Kinder in dieser
Zeit nach Kräften zu bilden, zu fordern und zu fördern, um ihnen das Rüstzeug
für ein erfolgreiches und sie voll befriedigendes Leben in dieser Gesellschaft
mitzugeben.
Wiederum als Gegenleistung hierfür wird der junge Mensch sich in der
Gesellschaft wohl fühlen und für sie Wertvolles leisten.
Es ist Aufgabe der Bildungspolitik, diesen wichtigsten aller
Generationenverträge einer Gesellschaft tatkräftig umzusetzen, und das heißt:
Jeder junge Mensch soll den für ihn optimalen
- d.h. seine Fähigkeiten am besten entfaltenden -
Bildungsabschluss erreichen.
Wir nannten dies das vorrangige Ziel der Bildungspolitik; nach dem zuvor
Gesagten ist es überhaupt das wichtigste politische Ziel einer jeden Gesellschaft.
Vor dem Hintergrund dieser Binsenweisheit fällt es schwer, für ideologisch
geführte Bildungsdebatten Verständnis aufzubringen.
1.8 das Ziel: Berufsfähigkeit
In ihrem letzten Schuljahr wurde die Klasse 9a der Martin-Schaffner-Schule
von der SWP begleitet mit dem Ziel, dass alle Schüler mit ihrem Schulabschluss
auch einen Ausbildungsplatz oder anderen Berufseinstieg haben sollten.
Dies gelang unter großen Anstrengungen, s. Bericht
"Die Glückskinder der 9a"
vom 26. Juli, sowie dazu noch einmal ein Kommentar
"Lehrstellenmisere"
am 4. September 2007 zu Beginn des Ausbildungsjahres, jeweils in der SWP
(s.a. Quellen: DTG).
Wäre es nicht selbstverständlich, das für alle Schulabgänger
erreichen zu wollen, ja müssen?
Der Generationenvertrag lässt doch keinen Zweifel:
Das Bildungsziel ist erst erreicht, wenn der junge Mensch seine erste
berufliche Qualifikation erreicht hat, also seinen Platz in der Gesellschaft
in eigener Selbstverwirklichung finden kann.
2.1 Erziehungspartnerschaft
Der
Orientierungsplan
für die Kindergärten in Baden-Württemberg
definiert die Erziehungspartnerschaft als Basis der Bildungsbiografie:
"Im Interesse einer kontinuierlichen Bildungsbiografie des Kindes
betont er die Intensivierung der Zusammenarbeit mit den Eltern und eine
weitergehende Verzahnung von Kindergarten und Grundschule. Für diese Bildungs-
und Erziehungspartnerschaften erhalten Eltern, sozialpädagogische Fachkräfte
und die Lehrkräfte der Grundschule Impulse und Hilfestellungen"
(s. Quellen: Kultusportal, sowie DTG: pol. Forum vom 12. April 2006
in der vh ulm mit der Fachreferentin Elisabeth Sailer-Glaser,
Abt. Städtische KiTa-Einrichtungen, hier:
bbb-ulm/publikationen).
Die Erziehungspartnerschaft bleibt auch später die Basis der
Bildungsbiografie, und es ist überaus wichtig, dass diese Basis schon im
Kindergarten begründet und dass sie anschließend in der Schule nahtlos
beibehalten wird.
2.2 Begleitung der Bildungsbiografie jedes Kindes
"Erziehung ist Beziehung" (Gisela Glück-Gross am 16. Juli 2007
im AK Bildung, s.a. Quellen: Sitzungsprotokolle AK Bildung), also wird
stets selbstverständlich angenommen, dass die Bildungsbiografie jedes
Kindes ihren Rückhalt im Elternhaus habe.
Jedes Kind wird aber auch in die Schulpflicht genommen (s. 1.5),
woraus folgt, dass auch die Schule die Beziehung zum Kind pflegen muss.
Gisela Glück-Gross: "der Weg zum Kind führt nur über die Eltern,
der Weg zu den Eltern nur über das Kind".
Also ist evident: Schule und Elternhaus begleiten gleichermaßen
die Bildungsbiografie.
Für die Eltern, aber mit wachsendem Alter auch für das Kind ist
die Erfahrung überaus wichtig, dass die Lehrer die Biografie kennen,
sie verlässlich dokumentiert übernehmen können, wenn sie z.B. eine Klasse
neu übernehmen, kurz, dass die Schule die Biografie jedes Kindes genauso
selbstverständlich kennt und begleitet wie die Eltern dies tun.
Und evident ist auch: die Bildungsbiografie spiegelt sich nicht
allein im Schulzeugnis wider.
Wenn dies für jedes Kind in intakten familiären Beziehungen gilt,
wie viel mehr hat das zu gelten, wenn die Schule auf kein intaktes
Familienumfeld trifft.
Wir stellen das hier nur einmal fest, ohne uns an wechselseitigen
Schuldzuweisungen zwischen Elternhaus und Schule beteiligen zu wollen.
Institutionelle Begleitung der Bildungsbiografie heißt konkret,
dass man sich selbstverständlich regelmäßig trifft und miteinander redet.
So werden rechtzeitig Gefahren erkannt und abgewendet.
2.3 bedarfsgerechte, nachhaltige und verlässliche Hilfe
Wenn alle, die sich der Erziehung eines Kindes annehmen,
dessen Bildungsbiografie kontinuierlich begleiten, dann können sie
gemeinsam reagieren und helfen.
Die Hilfe muss bedarfsgerecht sein, d.h. sie muss den
Bedürfnissen des Kindes gerecht werden; das kann bedeuten, dass man sich
lange und intensiv Gedanken machen und um eine Lösung auch kämpfen wollen muss.
Die Hilfe muss nachhaltig sein, d.h. sie muss ein erkanntes
Problem wirklich lösen, und die Lösung muss für das Kind auch nachvollziehbar
sein und von ihm gewollt werden.
Die Hilfe muss verlässlich sein, d.h. gerade in einer Krisensituation,
die vom Kind als bedrohlich und im Scheitern als Katastrophe empfunden wird,
muss es sich auf seine Bezugspersonen verlassen können - wann sonst?
2.4 institutionelle Verankerung
Biografische Begleitung und Hilfsangebot im Krisenfall müssen aus
mindestens zwei Gründen institutionell verankert sein:
Zum einen brauchen Elternhaus und Kind kontinuierlich einen verlässlichen
Partner, wie dargelegt.
Zum anderen aber ist diese Institution die Lebensversicherung des Kindes
in seiner Bildungsbiografie.
In diesem Zusammenhang ist evident:
Pilotprojekte mit einer Laufzeit von 2, höchstens 3 Jahren können die
hier konzipierte Begleitung von Bildungsbiografien keinesfalls leisten.
Die in Pilotprojekten gesammelten Erfahrungen mögen nützlich sein -
sie bringen aber erst Nutzen, wenn sie anschließend nachhaltig umgesetzt werden.
3.1 biografische Mappe
Für jedes Kind wird eine biografische Mappe geführt; diese Mappe
ergänzt Notenblätter und Zeugnis um nicht mit Noten messbare, aber wichtige
biografische Daten und Notizen.
Die biografische Mappe ist Grundlage für Gespräche zwischen Eltern
und Lehrern. Es ist selbstverständlich, dass die Eltern jederzeit diese
Mappe einsehen können, und dass sie ein inhaltliches Mitspracherecht haben.
Angelegt ist die biografische Dokumentation bereits im zitierten
Orientierungsplan für die Kindergärten, und Erzieherinnen werden schon
gezielt darin geschult, wie sie Kinder beobachten und deren wesentliche
Bildungsfortschritte dokumentieren sollen
(Qualifizierungsprogramm, S. 14-17,
s. Quellen).
Was auf den ersten Blick als bürokratischer Aufwand erscheinen mag,
erweist sich tatsächlich als wirksame Hilfe in der Bildungsbiografie
(s. Bericht von Doris Fuchs, Leiterin des Kindergartens am Sudetenweg in
Böfingen, vor dem Jugendhilfe-Ausschuss des Ulmer Gemeinderats am 27. April 2006,
sowie Carolin Stüwe in der
SWP vom 29. April 2006,
s.a. Quellen: DTG Pressespiegel).
Es bietet sich an, die biografische Mappe für jedes Kind zumindest
so lange weiter zu führen, bis die wichtigen Entscheidungen in der
Bildungsbiografie gefallen sind, also die Bildungskarriere ihr Ziel hat.
3.2 tragende Rolle der Klassenlehrer
Die Führung der biografischen Mappen wird in den Aufgabenbereich
der Klassenlehrer fallen; dies muss sich im Deputat niederschlagen.
Die Gespräche im Rahmen der hier vorgetragenen Bildungsberatung
sollten mit ihren Ergebnissen ebenfalls in der biografischen Mappe
dokumentiert werden.
Daraus ergeben sich Fragen des Datenschutzes (s. 3.6).
3.3 Berater als Paten-Netzwerk
Die Erfahrungen aus verschiedenen Pilotprojekten in der Bildungsberatung
wurden im AK Bildung intensiv erörtert.
In mehreren Sitzungen berichtete Winfried Bauer, Schulleiter der Eduard
Mörike Schule in Böfingen, ausführlich über die Elterngespräche in und im
Umfeld seiner Schule. So habe beispielsweise Frau Bogdashkina, AWO,
Schulsozialarbeiterin an der Mörike-Schule, Aussiedlerfamilien aus der
ehemaligen Sowjetunion betreut, Elterinitiativen sich um andere Migrantengruppen
gekümmert. Im Ergebnis seien nahezu alle Eltern erreicht worden.
Am 16. Juli 2007 berichtete Gisela von Canal über das Weststadt-Projekt
(Träger: Sanierungstreuhand, Begleitung: Markus Kienle), in welchem
türkisch-stämmige Kinder in ihrer Bildungsbiografie begleitet wurden.
Wenn es diesen Projekten, wie in 2.4 begründet, auch an Nachhaltigkeit
mangelt, so zeigen sie doch positiv die Chancen einer bildungsbiografischen
Begleitung.
Der AK Bildung zieht aus diesen Erfahrungen folgendes Resümee:
Für eine nachhaltige Bildungsberatung benötigt man ein Netzwerk gut
geschulter Bildungsberater, sowohl professionell, als auch auf Honorarbasis,
als auch ehrenamtlich tätig.
Dieses Netzwerk muss so gut ausgebaut und belastbar sein, dass für
jede problematische Bildungskarriere ein Pate zur Verfügung steht.
Ein Pate ist ein Berater, der einen jungen Menschen in einer
problematischen Bildungskarriere bis zum erfolgreichen Abschluss
persönlich begleitet. Ein Berater kann natürlich für mehrere junge Menschen
Pate sein, doch muss er seine Belastung steuern können.
Uns erscheint eine gesunde Mischung aus professionell, auf Honorarbasis
und ehrenamtlich tätigen Paten erstrebenswert.
3.4 Verankerung im Sozialraum
Die Paten sollten im jeweiligen Sozialraum leben, also in der Nachbarschaft
ihrer Klientel.
Die Zusammenarbeit zwischen Schule und Paten ist unabdingbar und muss -
schon wegen des Datenschutzes (s. 3.6) - besonders abgesichert werden.
3.5 muttersprachliche Beratung der Eltern
"Muttersprache ist die Sprache des Herzens" (Elisabeth Sailer-Glaser
im politischen Forum "Bildung - Sprache" in der vh ulm am 9. Nov. 2005).
Dies begründet die inzwischen wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnis,
dass Kinder im Kindergarten viel besser eine zweite Sprache (also bei uns Deutsch)
lernen, wenn sie Begriffe in ihrer Muttersprache beherrschen.
Doris Fuchs hat das am 27. April 2006 dem Jugendhilfe-Ausschuss
(s. 3.1) eindrucksvoll bestätigt: über 60 Prozent der Kinder in ihrem
Kindergarten kommen aus Migrantenfamilien, aber alle sprechen im Kindergarten
miteinander Deutsch - die Eltern jedoch muss man häufig in ihrer Sprache
ansprechen; für sie ist ihre Sprache noch immer der Schlüssel zum Herzen
ihrer Kinder.
Es ist daher evident, dass muttersprachliche Paten diesen
"Schlüssel zum Herzen" in der bildungsbiografischen Begleitung ihrer
Klientel nutzen sollten.
Das Paten-Netzwerk (s. 3.3) braucht daher unbedingt (i.d.R. ehrenamtlich
oder auf Honorar-Basis tätige) muttersprachliche Berater.
3.6 Datenschutz
Die Paten begleiten ihre Klientel in deren sensibelster Beziehung,
der Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Die Paten gehören gewissermaßen
"zur Familie". Da hat man in den wesentlichen Dingen keine Geheimnisse
voreinander - oder gerade doch?
Es ist durchaus vorstellbar, dass ein Pate mit seinem Zögling selbst
vor dessen eigener Familie Geheimnisse wahren muss.
In jedem Falle ist Verschwiegenheit nach außen eine Selbstverständlichkeit.
Aber ebenso selbstverständlich muss ein Pate die wesentlichen
Ereignisse und Bedingungen der Bildungsbiografie seiner Klientel kennen;
werden ihm wesentliche Fakten verschwiegen, so wird man ihm das Recht
zugestehen müssen, seine Patenschaft aufzukündigen.
Auch die Mitarbeit des Paten an der biografischen Mappe (s. 3.1)
fällt unter den Datenschutz.
Hieraus folgt, dass es einer strikten schriftlichen Datenschutzvereinbarung
bedarf, die zu Verschwiegenheit verpflichtet und Bedingungen präzise beschreibt.
Dass diese Fragen keineswegs nur ein Thema unseres Projekts
"nachhaltige Bildungsberatung" sind, sondern grundsätzlich geklärt werden müssen,
hat der Schülermord vom 17. Mai 2006 an der Urspringschule auf tragische Weise
ins öffentliche Bewusstsein gebracht.
3.7 Schulung
Schon aus formalen Gründen - Einhaltung des Datenschutzes (s. 3.6) -
muss es für die Paten ein Schulungsprogramm geben.
Darüber hinaus gibt es eine Fülle von Themen, die eine fundierte
Schulung der Paten erfordern - angesichts der Vielfalt unseres Schulsystems
nicht verwunderlich.
Man sollte sich aber keiner Illusion hingeben: wir können aus unseren
Paten keine Bildungsexperten machen, die auf jede Frage die - womöglich auch
noch einzig richtige - Antwort wissen.
Also sind Schulverwaltung und Schule gefordert; sie müssen als
kompetente Ansprechpartner jederzeit zur Verfügung und Paten und deren
Klientel Rede und Antwort stehen. Wir sehen eine wesentliche Funktion der
Paten auch darin, die hohe Hemmschwelle ihrer Klientel vor einem Gang zum
Klassenlehrer oder Schulleiter zu überwinden und diesen Gang zu begleiten.
Ein wesentlicher Teil der Schulung wird daher die psychologische
Sensibilisierung der Paten für ihre schwierige Aufgabe bezwecken.
Daher wird es vor allem auch gruppendynamische Treffen geben müssen.
Die Ausarbeitung eines Schulungsprogramms sollte in Zusammenarbeit mit
den bestehenden Bildungsberatungsstellen und dem Schulamt erfolgen.
3.8 städtische Koordinierungsstelle
Auch wenn sich viele ehrenamtliche Paten finden lassen werden,
Vereine sich dieser Aufgabe annehmen oder sich gar ein eigener Verein
gründet, der sich dieser Aufgabe ganz verschreibt - die Kontinuität einer
nachhaltigen Bildungsberatung muss professionell gesichert werden.
Dies ist eine kommunale Kernaufgabe.
Der Grundbedarf nachhaltiger Bildungsberatung muss durch eine
eigens dafür von der Stadt Ulm eingerichtete Stelle gesichert werden.
Die etablierten Bildungsberatungsstellen, insbesondere der Kirchen,
werden einbezogen.
Ehrenamtliche Paten und Vereine, die sich dieser Aufgabe annehmen,
sind willkommen; es sollte eine möglichst breite Bürgerbewegung werden.
Wie auch immer sich das in Ulm in Zukunft entwickeln wird: die
Koordinierung und die Grundlast der Bildungsberatung, insbesondere aber
die Sicherung der Kontinuität sind durch die Stadt Ulm selbst zu leisten.
3.9 Startphase
Die Paten sollten, wie wir begründeten (3.4), im Sozialraum
verankert sein. Also wird die Bildungsberatung mit Initialveranstaltungen
(Elternabende an den Schulen mit Beteiligung von Vereinen, Elterninitiativen etc.)
in jedem einzelnen Ulmer Sozialraum gestartet.
Dabei wird man - gar nicht überraschend - feststellen, dass es
in manchem Sozialraum schon vielfältige Aktivitäten (Weststadthaus,
ZEBRA, EMU Böfingen, ...) gibt. Also gilt es, in der Startphase zwei
Ziele zu erreichen:
- die übrigen Sozialräume ziehen mit tatkräftiger Unterstützung der
Vorreiter und der Koordinierungsstelle nach.
- Das Paten-Netzwerk wird aufgebaut, die Paten werden geschult,
und es etabliert sich über alle Ulmer Sozialräume ein Beratungsstandard.
Nachhaltigkeit bedeutet nämlich, dass von Start weg ein Standard
etabliert werden muss.
Dann wird es in den Folgejahren darauf ankommen, diesen Standard ständig
zu verbessern.
4.1 Bildungsberatung als kommunale Kernaufgabe
Es ist keine Frage: Bildungsberatung zählt zu den kommunalen Kernaufgaben.
Das Thema "Bildung" ist in den letzten Jahren in der deutschen
Öffentlichkeit zunehmend wichtiger genommen worden - nicht zuletzt
angeregt durch die Berliner Rede des Bundespräsidenten vom 21. September 2006
"Bildung für alle" (s. Quellen) - und das ist gut so!
Der Bundespräsident schließt seine Rede mit dem Appell:
"Bildung für alle - das gelingt am besten, wenn sich alle dafür einsetzen,
wenn wir alle uns bewegen. Was hindert uns? Auf geht's!"
Viele Städte in Deutschland machen sich auf, diesen Appell umzusetzen.
Ulm ist in vielen Rankings ganz vorne dabei.
Im Ranking "Bildung" Spitze zu sein - das wäre ein lohnendes Ziel!
4.2 Ulmer Bildungsoffensive
Die Ulmer Bildungsoffensive wird von allen Seiten gelobt;
insbesondere die angekündigte 2. Bildungsoffensive mit dem Schwerpunkt,
den Berufseinstieg von Hauptschülern zu unterstützen, bekommt schon
Vorschuß-Lorbeeren.
Die Bildungsoffensive mit nachhaltiger Bildungsberatung abzurunden
und damit für die Zukunft abzusichern, ist das Gebot der Stunde.
4.3 Sparen für Bildung
Die öffentlichen Haushalte haben in den vergangenen Jahrzehnten
Schulden angehäuft, wie es sich kein privater Haushalt leisten könnte.
Schon die Absicht, keine weiteren Schulden zu machen,
wird als Sparerfolg verkauft.
Es ist keine Frage, dass in den öffentlichen Haushalten endlich
ernsthaft gespart werden muss.
Gerade deshalb muss aber die Frage gestellt werden:
Wofür sparen wir?
Natürlich: um unseren Enkeln nicht auf der Tasche zu liegen.
Das soll unseren Kommunalpolitikern nicht verwehrt - im Gegenteil:
ins Gewissen geschrieben werden.
Sie sollten sich aber unzählige Großeltern zum Vorbild nehmen,
die ihr Erspartes ihren Enkeln geben ("wir brauchen's nimmer"):
Was in hartem Sparkurs erwirtschaftet wird, muss - endlich - in die
Bildung fließen - wohin sonst?
AK Bildung
|
Sitzungsprotokolle 2006 - 07
|
Bundespräsident Horst Köhler
|
"Bildung für alle" - Berliner Rede vom 21. Sept. 2006.
|
Deutscher Bildungsserver
|
www.bildungsserver.de: umfassende Sammlung aller Schulgesetze,
Veröffentlichungen der Kultusministerien und Forschungsinstitute etc.
|
Deutsch-Türkische Gesellschaft Ulm
|
www.dtg-ulm.de: mit Pressespiegel, Publikationen, Linkliste.
|
Kultusportal Baden-Württemberg
|
www.km-bw.de Links: "Kindergärten", "Orientierungsplan":
Orientierungsplan für Bildung und Erziehung für die baden-württembergischen
Kindergärten.
|
Picht, Georg
|
Die deutsche Bildungskatastrophe, Walter Verlag, Olten 1964.
|
Pieper, Friedrich
|
"Bildung ohne Barrieren"
- Thesen zum politischen Forum in der vh ulm am 29. Nov. 2006.
|
Stadt Ulm, Abt. Städtische Kindertageseinrichtungen
|
"Bildung Orientierung geben".
Qualifizierungsprogramm zum
Orientierungsplan für Bildung und Erziehung für die
baden-württembergischen Kindergärten 2007-08.
|
Stadt Ulm, Jugendhilfe-Ausschuss
|
"Sozialraum-orientierte Jugendhilfeplanung in Ulm".
Dokumentation der Fachtagung am 10.02.2004
|
zum Vergleich:
|
|
Botschaft von Finnland in Berlin
|
www.finnland.de Link: "Bildung"
|
Französische Botschaft in Deutschland
|
Das französische Bildungssystem
|
Großbritannien - offizielle Seite in Deutschland
|
Bildung in GB
|
Norwegen - die offizielle Seite in Deutschland
|
Zahlen und Fakten über das norwegische Bildungssystem
|
Schüleraustausch
|
www.schueleraustausch.info/
|
|