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Juli 2010

Reise-Erlebnisse der besonderen Art - Teil II

Nach unseren Reiseerlebnissen im Mai 2010 hatten wir eigentlich beschlossen, nur noch mit Mietauto zu reisen, hatten das an einem Wochenende im Juni auch schon so gemacht, aber ich hatte leichtsinnigerweise noch im Mai den Frühbucher-Rabatt der DB für eine Reise nach Würzburg im Juli genutzt. So durfte die DB sich dann doch "freuen," mich "wieder als Gast begrüßen zu dürfen". Und so geschah es dann auch am Sonntag, 4. Juli:
Zum ICE nach Augsburg, 13:08 Uhr ab Ulm, war auf der Anzeigetafel zu lesen, dass er nur bis Augsburg-Oberhausen fahren würde. Lange Warteschlange am Info-Center. Aber es sprach sich schnell herum:
Am frühen Sonntagmorgen ist in Augsburg ein Güterzug entgleist und hat die Oberleitung umgerissen. Sie werden mit Shuttle Bussen von Augsburg-Oberhausen zum Hbf Augsburg gebracht.
Mit 10 Minuten Verspätung fährt der ICE in Ulm ab. Aber ich habe Glück (oder auch nicht) und erwische die Zugbegleiterin noch vor Augsburg. Sie hatte auch schon vom Zugunglück gehört und versichert mir,
ja, Ihren Zug nach Würzburg dürften Sie in Augsburg Hbf noch erreichen.
Laut Fahrplan hatte ich 33 Minuten Übergangszeit. Bis Augsburg-Oberhausen ist diese Zeit aber schon auf 20 Minuten geschrumpft. In Augsburg-Oberhausen dann helles Chaos. Der Bahnsteig ist viel zu kurz. Die meisten Reisenden müssen auf dem Gleisbett aussteigen. Service-Personal ist nicht anwesend. Man stapelt Koffer, um darauf abzusteigen. Eine alte Frau mit Rollator ist völlig verzweifelt. Ich kann nicht helfen, eile zum Ausgang. Im winzigen Bahnhofsfoyer fürchterliches Gedränge. 2 Bahnbedienstete stehen im Ausgang, versuchen einigen Reisenden Informationen zu geben. Die meisten Reisenden quetschen sich ohne Info raus, draußen stehen die Shuttle Busse. Irgendwie schaffe ich es auch dorthin.
Bis zum Hbf braucht der Bus 8 Minuten, das könnte man schaffen.
Am Hbf dann die Anzeigetafel:
Außer nach München sind fast alle Züge storniert, auch der ICE nach Würzburg; Shuttle Busse bringen Sie nach Augsburg-Oberhausen.
In der Bahnhofshalle kein Service-Personal. Also ins Service-Center. Dort lange Warteschlangen. Da platzt mir der Kragen. Wie kann es sein, dass die Zugbegleiter auch 8 Stunden nach dem Unfall nicht Bescheid wissen? Kann in Oberhausen einem denn niemand sagen, dass alle Züge nach Osten, Westen, Norden storniert sind??
Nun beruhigen Sie sich mal, Schimpfen hilft jetzt auch nicht weiter. Ich drucke Ihnen Ihre Ersatzverbindung über Nürnberg nach Würzburg aus.
Der Mann hat ja recht, er ist auch nur Opfer eines grotesken Kommunikations-Chaos. Ich versuche von Ärger auf stoischen Gleichmut umzuschalten. Doch das will nicht recht gelingen, denn im Shuttle-Bus studiere ich meine neue Verbindung: in Oberhausen erst einmal viel Zeit; dann ab Nürnberg aber nach Ansbach, von dort schließlich nach Würzburg, wo ich schließlich mit fast 3 Stunden Verspätung ankommen würde, lange nach Beginn meines Seminars dort. Im Regionalzug nach Nürnberg gibt's natürlich keinen Zugbegleiter, den man nach der nächsten IC/ICE-Verbindung Nürnberg-Würzburg fragen könnte. Also suche ich mir die Verbindung in Nürnberg Hbf selbst raus und habe Glück. Nach 12 Minuten Übergangszeit erwische ich in einem ICE nach Würzburg sogar einen Sitzplatz. Warum der Service-Mann in Augsburg mir diese Verbindung wohl nicht nennen wollte??

Vor der Rückfahrt am Freitag, 9. Juli, war aus den Nachrichten zu entnehmen, dass der Zugverkehr in Augsburg seit gestern wieder normal laufe. Also sehe ich einer entspannten Rückreise entgegen - oder? Der ICE, 16:31 Uhr ab Würzburg, hat schon mal 15 Minuten Verspätung, aber in Augsburg werde ich ja 41 Minuten Übergangszeit haben. Ich stehe am Bahnsteig-Ende ungefähr dort, wo der Wagen mit meinem reservierten Sitzplatz halten würde.
Lautsprecher-Durchsage geht im Lärm eines durchfahrenden Zuges unter.
Der ICE rollt ein, Wagennummern sind im gleißenden Sonnenlicht nicht zu erkennen. Endlich ist ein Zugbegleiter anzutreffen.
Ja, Ihr Wagen ist am anderen Ende, wir fahren heute in umgekehrter Reihenfolge; wurde das denn nicht durchgesagt? Ich renne also los, muss mindestens an den beiden Loks in der Zugmitte vorbei. Schon kommt die Durchsage
... Türen schließen selbsttätig ...,
erreiche gerade noch den 1. Waggon hinter der 2. Lok. Drinnen falle ich in der 1. Klasse in den erstbesten Sessel. Wieder ein Kreislaufkollaps wie erst gestern in der Würzburger Mittagshitze. Doch dieses Mal ist keine Wasserflasche zur Hand, ich kann mir kein nasses Tuch in den Nacken legen. Mit fast 70 bin ich halt doch nicht mehr so sportlich wie einst. Wenn ich mich recht erinnere, kam ein Servicemädchen mit kalten Getränken vorbei, ich hätte sie gern angesprochen, es ging nicht, und sie ignorierte mich. Nach einiger Zeit komme ich wieder, dann auch der Zugbegleiter zu mir. Ich frage ihn, ob ich nicht auch einfach hier sitzen bleiben könne, denn es liegen hier in der 1. Klasse schon einige junge Leute mit ihren Rucksäcken auf dem Boden. Der Zug ist überfüllt.
Nein, Sie haben ja reserviert, Ihr Wagen ist weiter vorne.
Aber mein Platz ist sicher längst belegt, und bis Augsburg halten wir nicht mehr.
Keine Gnade.
Also mache ich mich mit meinem Koffer auf den Weg, steige hier über Beine, dort über Rucksäcke, finde endlich den mir zugewiesenen Platz - natürlich längst besetzt. Zum Glück finde ich wenig später einen freien Platz.
In Augsburg wird der ICE nach Ulm mit 15 Minuten Verspätung angezeigt. Irritierend: mehrmals werden Regionalzüge Richtung Ulm als Ersatzzüge durchgegeben. Schließlich, als der ICE schon 20 Minuten überfällig ist, aber noch immer am Bahnsteig auf der Anzeigetafel steht, die klärende Durchsage:
Nach Ulm fährt ein Esatzzug, der ICE Richtung Stuttgart steht dann in Ulm bereit.
Es kommt ein Kurzzug mit alten Waggons, ohne Klimaanlage, hoffnungslos überfüllt. Stehend kommt man nach Ulm, Umfallen geht nicht. In der Sauna wird durch alle Kleidergrenzen raumfüllend transpiriert. Die verspätete (ca. 40 Minuten) Ankunft in Ulm ist für mich erträglich, für die Weiterreisenden wohl eher nicht.
Ärgerlich nebenbei: Wieder einmal habe ich Platzkarten (dieses Mal 3 von 4) umsonst gekauft, doch das sind peanuts verglichen mit den übrigen Überraschungen dieser Reise.

Fazit: Muss man sich daran gewöhnen, dass der Bahn regelmäßig Pannen passieren? Wer ein wenig von Logistik versteht, muss zu der Einschätzung gelangen, dass der Deutschen Bahn die Fähigkeit fehlt, betriebliche Zwischenfälle intern verläßlich zu kommunizieren und darauf angemessen zu reagieren. Die mangelhafte Kommunikation mit den Kunden ist nur eine Folge davon. Welcher Dienstleister - außer die DB - kann es sich erlauben, so mit seinen Kunden umzuspringen?